Es war spannender und unterhaltsamer, als ich noch im letzten Semester befürchtet hatte, auch musste ich nichts wegen Wiederholung streichen. Dazu kam eine Reihe von interessanten Vorträgen.
Weil dieser Beitrag schon viel länger ist, als alles, was ich sonst so zu schreiben pflege, teile ich ihn in zwei Teile. Der erste Teil behandelt die Ringvorlesungen und Vorträge, Teil zwei dann die Vorlesungen.
Die erste Vortragsreihe, Physik am Samstag, startete bereits im März und bestand aus drei Vorträgen. Die in dieser Reihe Vortragenden beherrschen die Kunst, informativ über ihr Fachgebiet zu Laien zu sprechen, so dass Laien es sowohl verstehen als auch fachlich etwas mitnehmen können. Wir hörten über die Rolle der Wahrscheinlichkeit in der Physik, die spielt in der klassischen Physik eine Rolle bei Gasen. Gase bestehen aus einer sehr großen Anzahl an Teilchen, die sich bewegen, und für die die klassischen Gesetze Newtons gelten, aber man kann sie in der Praxis nicht anwenden, weil die Anzahl der Teilchen viel zu groß ist, es wären viel zu viele Gleichungen zu lösen. Man hat es aber verstanden, die Eigenschaften von Gasen in Abhängigkeit von Mittelwerten zu erklären. Zum guten Schluss erfuhren wir über die Quantenphysik und die Doppelspaltexperimente mit Teilchen, bei denen für ein Teilchen immer nur angegeben werden kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit es an einem bestimmten Ort anzutreffen ist, nicht jedoch, wo es sich wirklich befindet. Das klingt für Laien immer ein wenig schräg.
Der zweite Vortrag in der Reihe war mit Reise zurück zum Urknall recht reißerisch betitelt, inhaltlich wurde uns im Wesentlichen das heute gültige Standardmodell für die Teilchen, aus denen Materie besteht, nahe gebracht. Dabei bekamen wir auch Einblick in den Teilchenbeschleuniger am CERN in Genf, mit dessen Hilfe die Existenz bestimmter Teilchen im Experiment nachgewiesen wird. Interessant fand ich noch die abschließende Aussage, dass wir nur 5% des Universums kennen, aber wissen, dass der Rest zu 25% aus dunkler Materie und zu 70% aus dunkler Energie besteht. Was immer das ist, wir warten auf die Vorträge der nächsten Semester.
Der dritte Physikvortrag behandelte blaues Licht, genauer, blaue Leuchtdioden (LEDs), die die Basis für weiße LEDs sind. Die Grundlagenentwicklung für blaue LEDs ist 2014 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet worden, und es gibt in diesem Forschungsgebiet eine Vielzahl von aktuellen Herausforderungen und Weiterentwicklungen.
Sehr sympathisch ist bei der Reihe Physik am Samstag das junge Publikum, Acht- bis zehnjährige Jungs (leider, wirklich leider, haben wir keine Mädchen in dem Alter gesichtet), die angespannt-fasziniert den Vorträgen folgen.
In der Ringvorlesung des Würzburger Alterumswissenschaftlichen Zentrums hörten wir über Exil. Flucht, Vertreibung, Deportation im Altertum. Es begann mit Judäer im babylonischen Exil nach neuen keilschriftlichen Quellen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Interessant fand ich, dass nach Auswertung der Keilschriften die Judäer im babylonischen Reich zwar als ethnisch geschlossene Gruppe in Königsland angesiedelt wurden, dass sie jedoch keine Sklaven waren, sondern die gleichen Rechte und Pflichten hatten, dass sie unternehmerisch tätig waren, dass ihr Wohlstand wuchs, und dass sie die babylonischen Rechtsinstrumente aktiv nutzen, mit Personen außerhalb und innerhalb ihrer ethnischen Gruppe.
Der zweite Vortrag, den wir hörten, hieß: Antike Schicksale zwischen Völkerwanderung und individuellem Exil und brachte vier Beispiele. Es begann mit Troja und was der Untergang einer Stadt in der Antike für ihre Einwohner bedeutete. Das zweite Beispiel berichtete von den Helvetiern, die 61 v. Chr. freiwillig ihre Heimat verließen und sich weiter im Westen neu ansiedeln wollte. Caesar verhinderte dies, und die Helvetier mussten wieder zurückkehren. Das dritte Beispiel behandelte die gotische Völkerwanderung um 350-380 n. Chr. Die Goten baten die Römer auf der Flucht vor den Hunnen um Aufnahme in das römische Reich, was ihnen unter Auflagen gestattet wurde. Die Goten hielten sich aber nicht an die Auflagen, es kamen viel mehr Goten ins römische Reich, sie waren bewaffnet und sie blieben zusammen. Als die Römer gegen sie militärisch vorgingen, unterlagen sie. Das letzte Beispiel behandelte einen römischen Senator, der ins Exil nach Smirna geschickt wurde. Er nahm dort das Bürgerrecht an und blieb in Smirna, auch als seine Vertreibung aufgehoben worden war.
Die letzte Ringvorlesung, die wir hörten behandelte die Seevölker im östlichen Mittelmeer, die sowohl im alten Testament als auch in ägyptischen Tempeln erwähnt bzw. abgebildet wurden. Nach vielen Theorien über Ursprung und Verbreitung der Seevölker in vergangener Zeit erforscht man heutzutage die Herkunft der für die Seevölker typischen Waffen, genauer, wo das Kupfer herkam, und man wurde in der Region Trient fündig.
Ein echtes Highlight war der Vortrag über Chruschtschow und die Entstalinisierung der Sowjetunion. Nach Stalins Tod 1953 wurde die Sowjetunion durch ein Kollektiv geführt. Chruschtschow wurde Führer der Kommunistischen Partei KPdSU, die unter Stalin komplett entmachtet worden war und konnte sie wieder beleben. Der Terror wurde eingestellt, die Folter verboten, die Macht der Sicherheitsorgane beschränkt. Ab dann war wieder Kritik möglich, ohne dass man das Leben riskierte. Nach einer Rede auf dem 20. Parteitag der KPdSU 1956, in der Chruschtschow mit Stalins Personenkult abrechnete, wurde eine grundlegende Wende in der Sowjetunion eingeleitet. Etwa zwei Millionen Menschen wurden aus den Lagern entlassen und rehabilitiert. Die Integration dieser zwei Millionen machte in Bezug auf Arbeitsplätze und Wohnraum große Schwierigkeiten, worauf ein gigantisches Wohnungsbauprogramm gestartet wurde. Die Sowjetunion öffnete sich, es gab wieder Ausländer in Moskau, sowjetische Künstler konnten im Ausland gastieren. Es gab Vorbehalte gegen Chruschtschow und die neue Führung in der Bevölkerung, weil sie auch an den Verbrechen Stalins beteiligt gewesen waren, aber das war ein Problem des ganzen Landes, irgendwie waren während des stalinistischen Terrors alle sowohl Täter als auch Opfer, und in Stalins engsten Kreis kam niemand, der nicht vorher entsprechende Untaten verübt oder befohlen hatte, schon damit Stalin ein Druckmittel hatte, sollte einer aufmucken wollen. Die Partei löste diesen Widerstand, indem sie alle, auch die Opfer, zu Siegern im großen vaterländischen Krieg (der zweite Weltkrieg gegen die Deutschen) erklärte.
Chruschtschow wurde im Oktober 1964 abgesetzt, Leonid Breschnew war sein Nachfolger.
Heute ist Chruschtschow eine Unperson in Russland, Stalin ist sehr populär, jedoch weiß keiner, was er gemacht hat, er wird verehrt als der Sieger des vaterländischen Krieges. Im Schulunterricht werden beide nicht erwähnt.
Bei der anschließenden Diskussion stachen die Parallelen und Unterschiede, die von einem Althistoriker mit den römischen Kaisern des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. aufgezeigt werden konnten, besonders hervor, auch wurde über die verschiedenen Phasen der Aufarbeitung kollektiver Verbrechen diskutiert, auch hier gibt es viele Ähnlichkeiten.
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