Samstag, 1. November 2008

Die Laurin-Sage, ganz anders

Die Laurinsage habe ich ja bereits vor einigen Tagen nacherzählt. In einem alten Bildband, über 40 Jahre alt, hab ich eine andere Version der Sagen um den Zwergenkönig Laurin gefunden, die nicht von Entführung und Verrat durch Laurin handelt. Er ist hier nicht Bösewicht, sondern Opfer. Sie beginnt so. "Es war in jener fernen Zeit, als der Neid noch nicht geboren war. In den Ebenen lebten große Völkerschaften, die in Frieden ihre Äcker bebauten und ihre Fische fingen. Und im Gebirge [...] lebte ein Volk, dessen König Laurein hieß, der Steinland-König." Laurein also, nicht Laurin. Laurein züchtete Rosen im Steinland, deren Duft der Wind in die flachen Länder hinabtrug. Ein uralter Zwerg warnte Laurein, er solle das Rosenzüchten sein lassen, denn drunten in den Sümpfen der Ebene sei der Neid geboren worden. "Neid ist ein böses Blut, ein Atem, der von Mund zu Mund geht, eine Krankheit, die aus den Sümpfen steigt und alles Lebendige ergreift. Wenn einer, den der Neid hat, den Duft deiner Gärten atmet, dann will er diesen Duft auch besitzen." Laurein hörte nicht auf die Warnungen des uralten Zwergs. So kam es wie befürchtet, Eindringlinge mit Pferden sprengten zum Rosengarten hinauf, schlugen die Rosen ab und suchten den Eingang zum unterirdischen Palast, um die Schätze der Zwerge zu rauben. Die Zwerge verteidigten sich mit allen Zauberkräften, die ihnen zur Verfügung standen, schafften es aber nicht gegen die Übermacht der Eindringlinge. Da verfluchte Laurein den Rosengarten. "Aus Stein haben wir euch gezogen, zu Stein sollt ihr wieder werden, Rosengärten! Nie mehr soll euer Duft ein Menschenherz erfreuen! Weder bei Tag noch bei Nacht soll eure Pracht fürderhin von Menschen gesehen werden!" Da brachen Steinlawinen nieder und töteten die Eindringlinge. "Verflucht sei der Neid!" schrie Laurein noch und zog sich mit seinen Leuten ins Innere der Berge zurück. Dort warten sie nun auf eine Zeit des Friedens, der Freude und der Freiheit. Da im Fluch Laureins die Dämmerung ausgenommen ist, können wir manchmal in der Dämmerung die Berge wie Rosengärten glühen sehen, und manchem wird das Herz weit und wir hoffen mit Laurein auf den Anbruch der verheißenen Zeit des Friedens und der Freiheit, die frei ist vom Neid.

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